DStV-Stellungnahme S 05/24 Bundesministerium der Finanzen

28.08.2024

Am 08.12.2022 hat die Europäische Kommission ein umfassendes Maßnahmenpaket vorgeschlagen, um das Mehrwertsteuersystem der EU für Unternehmen effizienter und betrugsresistenter zu machen (vgl. Vorschlag der EU-Kommission, COM (2022) 701 final, vom 08.12.2022). Diese geplanten Maßnahmen zur "Mehrwertsteuer im digitalen Zeitalter" (VAT in the Digital Age - kurz: ViDA) umfassen grob drei Legislativpakete.

In Anbetracht der angestrebten politischen Einigung der Mitgliedstaaten im ECOFIN-Rat unter belgischer Ratspräsidentschaft möchten wir als Deutscher Steuerberaterverband e.V. (DStV) zu einem Teilaspekt des ViDA-Vorschlags Stellung nehmen. Dies betrifft die geplante Ausweitung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft nach Artikel 194 MwStSystRL-E (Reverse-Charge-Verfahren).

A. Vorwort

Die EU-Kommission plant, die Anzahl der umsatzsteuerlichen Registrierungen von Unternehmern zu minimieren. Dies beinhaltet die Verbesserung des bestehenden Systems der einzigen Anlaufstelle (One-Stop-Shop) und der einzigen Anlaufstelle für die Einfuhr (Import-One-Stop-Shop), sowie eine Erweiterung und Verbesserung des Reverse-Charge-Verfahrens, bei dem die Steuerschuld umgekehrt wird. Als DStV unterstützen wir diese Pläne grundsätzlich.

Das Reverse-Charge-Verfahren wird als effektives Mittel zur Bekämpfung von Umsatzsteuerbetrug angesehen, wie bereits in der DStV-Information vom 20.01.2022 dargelegt. Die Ampelkoalition hat ebenfalls im Koalitionsvertrag 2021-2025 zwischen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP die Bedeutung dieses Verfahrens im Hinblick auf ein endgültiges Mehrwertsteuersystem betont (Mehr Fortschritt wagen, S. 132.).

Die geplante Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens im Rahmen von ViDA sollte folglich auf weitere Sachverhalte ausgedehnt werden. Im Folgenden wird erläutert, warum dies insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) in Deutschland für wichtig gehalten wird.

B. Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei Leistungen nicht ansässiger Unternehmen, Art. 194 Abs. 1 MwStSystRL-E

Der oben genannte Vorschlag der EU-Kommission zielt darauf ab, die Anzahl der Fälle zu reduzieren, in denen eine umsatzsteuerliche Registrierung in einem anderen Mitgliedstaat erforderlich wäre. Zu diesem Zweck sieht der Vorschlag vor, dass die Steuerschuldnerschaft umgekehrt wird, wenn der leistende Unternehmer nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem die Mehrwertsteuer geschuldet wird und die Leistung an einen Unternehmer erbracht wird, der im Mitgliedstaat des Verbrauchs umsatzsteuerlich registriert ist (siehe Artikel 194 Absatz 1 der Mehrwertsteuersystemrichtlinie - MwStSystRL-E).

Bisher haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, das Reverse-Charge-Verfahren in den genannten Fällen gemäß Artikel 194 Absatz 1 der MwStSystRL vorzusehen. Deutschland macht von dieser Option derzeit nur sehr begrenzt Gebrauch, hauptsächlich für Werklieferungen ausländischer Unternehmer (siehe § 13b Absatz 2 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes - UStG). Im Falle einer Einigung muss § 13b UStG entsprechend erweitert werden.

Diese Änderung wird dazu führen, dass Umsätze von nicht im Inland ansässigen Unternehmern im Bereich Business-to-Business (B2B) wesentlich häufiger im Reverse-Charge-Verfahren besteuert werden. Dies bietet dem nicht im Inland ansässigen Unternehmer mehrere Vorteile.

Zum einen entstehen durch die Umkehrung der Steuerschuldnerschaft weniger administrative Kosten. Zum Beispiel stellt sich nicht die Frage nach dem richtigen Steuersatz für die erbrachte Leistung. Zum anderen bevorzugen einige Vertragspartner die Abrechnung über Reverse-Charge. So muss ein inländisches Unternehmen, das Leistungen im Rahmen des Reverse-Charge-Verfahrens bezieht, die Vorsteuer nicht im Voraus bezahlen und auf die Rückerstattung im Rahmen der Umsatzsteuervoranmeldung warten. Dadurch behält das leistungsbeziehende Unternehmen einen Liquiditätsvorteil. Es besteht daher die Gefahr, dass die geplante Neuregelung Anreize schafft, Waren von ausländischen Unternehmern anstelle von im Inland ansässigen Wettbewerbern zu beziehen.

Dies könnte den im Inland ansässigen Unternehmenskonkurrenten benachteiligen und den Wirtschaftsstandort, insbesondere ansässige kleine und mittlere Unternehmen (KMU), schwächen.

Eine Möglichkeit, diese Benachteiligung zu vermeiden, wäre es, es im Inland ansässigen Unternehmen zu ermöglichen, im B2B-Bereich ebenfalls das Reverse-Charge-Verfahren anzuwenden. Allerdings könnte Deutschland dies aufgrund der verpflichtenden Einhaltung der MwStSystRL nicht eigenständig festlegen.

Daher sollte Deutschland sich auf europäischer Ebene im Rahmen der Einigung zu ViDA dringend für eine entsprechende Anpassung der MwStSystRL einsetzen. Damit könnte die Bundesregierung auch ihr im Koalitionsvertrag festgehaltenes Vorhaben erfüllen, sich auf EU-Ebene für ein endgültiges Mehrwertsteuersystem einzusetzen, wie zum Beispiel das Reverse-Charge-Verfahren.

Bereits 2005/2006 versuchten sowohl Österreich als auch Deutschland den Weg für die Umkehr der Steuerschuld im B2B-Bereich zu ebnen, indem sie entsprechende Ermächtigungsanträge bei der Kommission stellten. Die Kommission lehnte diese jedoch damals aufgrund der hohen administrativen Belastungen für Unternehmen und Verwaltung ab, die mit den damaligen konkreten Plänen verbunden gewesen wären.

Seitdem hat sich die Ausgangssituation jedoch maßgeblich verändert, insbesondere durch die zunehmende Technologisierung. Mit der geplanten Umstellung auf elektronische Rechnungen im B2B-Bereich und der daraus resultierenden Implementierung eines Meldesystems sollte die Diskussion über ein generelles Reverse-Charge-Verfahren im B2B-Bereich neu geführt werden. Diese Ansicht wird auch von einigen Stimmen aus der Wissenschaft geteilt.

Daher sollte Deutschland im Rahmen der Gesetzesinitiative "Mehrwertsteuer im Digitalen Zeitalter" für eine Ergänzung plädieren, um inländische Unternehmen nicht zu benachteiligen. Konkret sollten Mitgliedstaaten die Möglichkeit haben, eine Umkehr der Steuerschuldnerschaft in den Fällen vorzusehen, in denen die Umsätze im Mitgliedstaat über ein Meldesystem gemäß Artikel 271a und 271b der MwStSystRL-E mitgeteilt werden. Auf diese Weise würde auch die rechtliche Grundlage für die Einführung des generellen Reverse-Charge-Verfahrens im endgültigen Mehrwertsteuersystem geschaffen, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.

Ansprechpartner

Eike J. Giersdorf
Wirtschaftsprüfer I Steuerberater
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